„Ich habe Angst.“
„Bitte?“
Tom sieht mich erstaunt an.
„Ich habe Angst. Diese vielen offenen Räume. Keine Tür, die man abschließen kann. Wände, dünn wie Papier.“
Ich stehe vor Toms Bett. Immerhin hat er ein Bett. Mich hat man in eine bessere Abstellkammer verbannt. Meine Lagerstatt ist eine dünne Matratze durch die ich die Ritzen des Dielenbodens fühlen kann. Das Bettzeug besteht aus einem winzigen Kissen und einem Laken. Tom liegt gemütlich zwischen weichen Decken und mehr Kissen, als ich an einer Hand zählen kann.
„Wo wollen sie denn schlafen?“
„Ihr Bett ist so breit wie drei Betten. Ich mache mich ganz klein“, bitte ich ihn inständig, „Ich bin total durch gefroren.“
„Wenn sie uns erwischen, gibt das richtig Ärger, dass ist ihnen klar.“
„Welche Art Ärger?“
„Unverheiratete Frauen, die bei Männern liegen, werden hier noch hart bestraft.“
„Aber ich bin keine Chinesin“, wende ich ein.
„Ich weiß nicht, ob die Aufseher für sie eine Ausnahme machen.“
Meine Zähne schlagen aufeinander. Ich kann meine Glieder nicht mehr still halten.
„Das Risiko muss ich wohl eingehen.“
Als Tom die Decke hochhebt und ich zu ihm ins Bett schlüpfe, ist mir nicht wirklich wohl. Die Gesellschaft der verbotenen Stadt lebt noch wie vor hunderten Jahren. Frauen gelten nichts und werden bei kleinsten Vergehen hart bestraft. Dass sich diese Regel auch auf mich ausdehnt, hatte ich nicht gedacht.
Toms Wärme umfängt mich. Meine schlotternden Knochen kommen langsam wieder zur Ruhe. Ich halte mich dicht am Bettrand.
„Danke“, flüstere ich.
„Sie sollten etwas weiter in die Mitte rücken“, Tom legt einen Arm um meine Taille und zieht mich zu sich heran, „sonst fallen sie hinaus.“
Ich wehre mich nicht, lasse es geschehen. Toms Atem streift meinen Hals und mein Gesicht. Es ist ein angenehmes Gefühl von Geborgenheit seinen Körper an meinem zu spüren. Ich schmiege mich eng an ihn und schließe die Augen.
I. Ich habe Angst
3. November 2014 von Caroline
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